Das Haus in der Münchner Viktor-Scheffel-Straße 15, wo Fritz Lang zu Beginn seines Studiums an der Münchner Kunstgewerbeschule 1912/13 gewohnt hat, war durch die langjährigen Hausbewohner:innen Karl und Maria Domian, Emil Gutmann sowie Eleanor Mary Rosé und ihre Tochter Eleanor Mary Estella Rosé mit seiner Heimatstadt Wien verbunden.

Einträge im Münchner Kunstgewerbeschüler-Verzeichnis

Die verfügbaren Informationen über Fritz Langs Ausbildung an der Münchner Kunstgewerbeschule waren Jahrzehnte lang so nebulos und widersprüchlich, dass sie von Patrick McGilligan in seiner Fritz-Lang-Biografie (1997) als Angeberei angezweifelt wurden: „Lang claimed to have enrolled in the Staatliche Kunstgewerbeschule […]. [T]he files of the Kunstgewerbeschule for that era do not show that anyone by the name of Fritz Lang registered as a student or attended any classes. [/] Supposedly to pay for these undocumented classes, Lang again cashed in on his artistic ability. […] [/] The future director’s stay in Munich lasted an unverifiable period of time; it was probably less than a year“.[1]

Beginn und Ende von Fritz Langs drei Semester währender Münchner Studienzeit stehen dank des von Claudia Schmalhofer erstellten „Verzeichnisses der Schülerinnen und Schüler der Königlichen Kunstgewerbeschule München“ inzwischen zweifelsfrei fest: „Lang Friedrich, Wien | 1890 | Illustrator | Kunstg[ewerbliches] Malen | WS 1912/13, SS 1913, WS 1913/14[2] (Siehe: „Weitere aufschlussreiche Archiv-Funde zur frühen Biografie des Filmregisseurs Fritz Lang“).

Eleanor Rosé, Viktor-Scheffel-Straße 15

Nach bisherigem Forschungsstand wiesen die „Münchner Adressbücher der Jahre ab 1910 […] keinen Fritz Lang nach. Dafür aber ist der Name Eleanor Rosé zu finden. Bei ihr, der „Privatiere“ in der Schwabinger Viktor-Scheffel-Straße 15, 4. Stock, hat Lang als Kunstschüler gewohnt. An diese Zeit erinnerte er sich später in Briefen, die er mit der Tochter seiner Wirtin, Eleanor Rosé II, lebenslang wechselte.[3]Ob die Bekanntschaft zwischen Eleanor Rosé (1894–1992) und Fritz Lang bereits vor dessen Münchner Zeit um 1910/11 [recte: 1912/13] begann, läßt sich nicht klären.[4] Aufgrund der gemeinsamen Wiener Herkunft wäre eine frühere Bekanntschaft zwischen Fritz Lang und der um 3½ Jahre jüngeren Tochter seiner Zimmerwirtin durchaus möglich. Allerdings gibt es vorerst keine Hinweise, dass sich die Lebenswege der Familien Lang und Rosé in Wien nennenswert gekreuzt hätten.

In Wien hat die 1864 geborene Britin Eleanor Mary Bott 1892 den Musikalienhändler Alexander Rosé (1858–1904) geheiratet. Er war ein Bruder des Cellisten Eduard Rosé (1859–1943), der seit 1898 mit Gustav Mahlers Schwester Emma (1875–1933) verheiratet war, als deren Taufpatin 1898 Eleanor Mary Rosé fungiert hat. Ein weiterer Bruder Alexander Rosés war der Violinist Arnold Rosé (1863–1946), der 1902 Gustav Mahlers Schwester Justine (1868–1938) geheiratet hat. Gemeinsam waren die beiden Rosé-Brüder Gründer des musikgeschichtlich bedeutenden Rosé-Quartetts.

Eleanor Mary Rosés Ehe wird am 19. Oktober 1901 in Wien geschieden. Ab November 1902 wird sie im „Adreßbuch für München und Umgebung“ als Mieterin im Haus Ohmstraße 3 verzeichnet. 1903 übersiedelt sie in das Haus Hohenzollernstraße 37 von wo sie 1910 in das Haus Viktor-Scheffel-Straße 15 wechselt, das damals bezugsfertig geworden ist.

Emil Gutmann (1877–1938) – „Impresario der Moderne

In dem frisch bezogenen Haus Viktor-Scheffel-Straße 15 hat bis Sommer 1912 auch der aus Wien stammende kunst– und musikgeschichtlich interessante Emil Gutmann (1877–1938) gewohnt, der vermutlich für das Zustandekommen der Lang-Rosé-Bekanntschaft maßgeblich gewesen sein dürfte.

Emil Gutmann, Sohn des aus Fürth in Bayern stammenden Wiener Musikalienhändlers und Konzertagenten Albert Gutmann (1851–1915), hat seit 1906 in München seine eigene Konzertagentur betrieben. Einer seiner frühesten Klienten war der Sänger und Schauspieler Leo Slezak, der seit 1906 von Fritz Langs Onkel, dem Wiener Rechtsanwalt Ernst Schlesinger, rechtlich vertreten wurde, weshalb Emil Gutmann und Ernst Schlesinger einander vermutlich persönlich gekannt haben werden.

Der Nachwelt ist Emil Gutmann unter anderem durch die Münchner Musikfeste bekannt, für die er im Mai 1910 die Robert-Schumann-Gedenkfeier, im Juni 1910 die Richard-Strauss-Woche und als Höhepunkt am 12. September 1910 die Uraufführung von Mahlers VIII. Sinfonie organisiert hat. Letztere hat er werblich geschickt, aber zu Mahlers Verärgerung mit dem eingängigen Beinamen „Sinfonie der Tausend“ versehen, der dem Werk bis heute anhängt. Im November 1911 hat Gutmann auch die Münchner Gedächtnis-Feier für den am 18. Mai 1911 verstorbenen Gustav Mahler organisiert, bei der Bruno Walter die Uraufführung von Mahlers „Lied von der Erde“ und nach der Pause Mahlers 2. Sinfonie dirigiert hat.

Bis Sommer 1912 hat Gutmann seine Konzertagentur in München betrieben, bevor er seine Münchner Zelte abgebrochen hat, um sein Glück in Berlin zu suchen: „Er kam aus München, wo er schon in großem Umfang als Impresario gewirkt hatte. Aber München war ihm zu eng. Er war einer jener grandiosen Unternehmernaturen, wie sie das moderne Deutschland schon mehrfach hervorgebracht hat. In Berlin glaubt er nun den rechten Boden zu finden. Er hatte den Blick für die gewaltige Steigerung, die das musikalische und literarische Interesse des deutschen Publikums im letzten Jahrzehnt erfahren hat, er hatte das Organ, um die intellektuellen Bedürfnisse der Gegenwart aufzuspüren und gedachte sie nun merkantil zu organisieren. Er wurde der Impresario der Moderne. Man wird sich der Aufsehen erregenden Aufführungen von Gustav Mahlers „Sinfonie der Tausend“ entsinnen, die in München, in Hamburg, in Berlin und anderwärts stattfanden. Es war Emil Gutmann, der ihr geschäftlicher Organisator war, und wenn man heute in Deutschland und Oesterreich etwas von Arnold Schönberg weiß, so war es ebenfalls Emil Gutmann, der diesen Futuristen der Musik „managte“. Aehnlich wurden [Ferruccio] Busoni und Oskar Fried von ihm propagiert. […] Mit einem Wort: die ganze moderne Kunst führte er in seinem Kolossalbetrieb an der Hand. Und das Endresultat war – sein finanzieller Zusammenbruch. Er hatte sich „übernommen“, wohl weil er jedem an sich guten Einfall nachjagte und das weise Maßhalten nicht lernen wollte. Eines Tages stand das große Defizit in seinen Büchern. Es ging nicht weiter – und so ging Gutman selber. Zunächst in eine unbekannte Ferne – er verschwand einfach für alle Welt. Erst jetzt erfährt man, daß er in einer bescheidenen Stellung bei der österreichischen Staatsbahn eine stille Existenz gefunden hat.[5]

„Die finanziellen Schwierigkeiten des Berliner Konzertbureaus Gutmann“. Aus: „Neues Wiener Journal“ vom 23. April 1914, 9.
„Die finanziellen Schwierigkeiten des Berliner Konzertbureaus Gutmann“. Aus: „Neues Wiener Journal“ vom 23. April 1914, 9.

Über Emil Gutmanns weiteren Lebensweg ist äußerst wenig bekannt: Laut der Mahler-Sekundärliteratur ist er 1920, laut der Schönberg-Sekundärliteratur 1934 und laut der Kraus-Sekundärliteratur 1938 verstorben, wobei Letzteres durch den amtlichen Wiener Sterbeeintrag vom 2. August 1938 zweifelsfrei verbürgt ist.

Zurück zu Fritz Lang und den Wien-Verbindungen des Hauses Viktor-Scheffel-Straße 15, wo seit dem Erstbezug 1910 auch der ehemalige Schiffsoberinspektor Karl Domian und seine Gattin Maria Domian wohnen, die gleichfalls aus Wien kommen, bei denen aber keine nennenswerte Verbindung zur Familie Lang ersichtlich ist.

Fritz-Lang-Eintrag im „Adreßbuch für München 1914“

Fritz Lang wohnt längstens ein Jahr im Haus Viktor-Scheffel-Straße 15, wie zwei bislang übersehene Einträge im „Adreßbuch für München und Umgebung 1914“ belegen, die ihn zumindest seit 31. Oktober 1913 als Wohnungsmieter im Haus Georgenstraße 35 verzeichnen: „Lang Fritz Kunstmaler“ und „Lang […] – Fritz Kunstmal[er] Georgenst[raße] 354“, wobei die tiefgesetzte Zahl das Stockwerk bezeichnet.

An dieser kunsthistorisch bedeutenden Adresse hat zwischen 1898 und 1901 bereits der russische Maler Wassily Kandinsky (1866–1944) gewohnt, als er die Malschule des slowenischen Malers Anton Ažbe (1862–1905) in der Georgenstraße 16 besucht hat. Kandinskys Wohnung befand sich im vierten Stock, weshalb 1914 entweder Fritz Lang oder sein rund ein Jahr älterer Wohnungsnachbar, der bekannte Architekt und Grafikdesigner Otto Firle (1889–1966), Kandinskys Nachmieter war.

Fritz Langs zweite Münchner Adresse war seit 2005 durch zwei von ihm verfasste Briefe bekannt, deren Zusammenfassungen und Teilablichtungen anlässlich einer Auktion im Internet veröffentlicht wurden.[6] Sie belegen, dass Lang im Herbst 1913 in München, Georgenstraße 35, gelebt hat, von wo aus er mit dem Wiener Schriftsteller Gottfried Merley (geb. Weiss, 1891–1942) wegen einer belletristischen Publikation korrespondiert hat, die Lang illustrieren sollte.

Im Frühjahr 1914 kehrt Lang nach Wien zurück, wo er sich am 8. April 1914 erneut in der Wiener Wohnung seiner Eltern anmeldet. Sein Meldezettel gibt als Beruf „Kunstmaler“ und als „frühere Wohnung“ „München“ an.[7]

Fritz Langs Meldezettel vom April 1914 nennt ein falsches Geburtsdatum: „6.11.1890“ statt richtig „5.12.1890“ („Wiener Stadt und Landesarchiv“).
Fritz Langs Meldezettel vom April 1914 nennt ein falsches Geburtsdatum: „6.11.1890“ statt richtig „5.12.1890“ („Wiener Stadt und Landesarchiv“).

Ich versichere Euer Gnaden, ich war 2 Jahr in Paris[10]

Langs verbürgte Münchner Studienzeit verlangt die Korrektur seines angeblich einjährigen Pariser Studienaufenthalts, der sich zeitlich nicht vor dem Frühjahr 1914 unterbringen lässt. Er dürfte sich auf die zweite Frühjahrshälfte 1914 und die erste Hälfte des Weltkriegssommers 1914 sowie auf mehrwöchige Aufenthalte bzw. Sommer-Kurse im Jahr 1913 beschränken (Siehe: „Aufschlussreiche biografische Momentaufnahme“).

Egon-Schieles Fritz-Lang-Korrespondenz

Im Mai 1914 ist Fritz Lang nachweislich in Paris, wie das von der Direktorin France Ranson handgeschriebene „Register der Académie Ranson[8] belegt. Aus diesem Zeitraum, genauer vom 20. Juni 1914, stammt auch die mit folgender Notiz für Fritz Lang versehene Visitenkarte seines großen Malervorbilds Egon Schiele: „Lieber Herr Lang, Nicht wahr sie sind so lieb und senden mir, auch wenn Sie schon den Rest für die Sonnenblume aufgegeben, 20 K[ronen] [2024: ungefähr 135,- Euro], weil morgen Sonntag [21. Juni 1914] ist und ich nicht weiß ob ich die Sendung bekomme. Sobald ich diese erhalten, retourniere ich die 20. Vorderhand meinen Herzlichen Dank und herzlichste Grüße Egon Schiele“.[9]

Mangels weiterer Informationen bleibt vorerst ungeklärt, ob Fritz Lang um den 20. Juni 1914 erneut in Wien war oder ob es sich bei der „Visit[en]karte von Egon Schiele mit einer Notiz für Fritz Lang“ um ein Relikt seiner Pariser Schiele-Korrespondenz handelt.

Anmerkungen

[1] Patrick McGilligan, Fritz Lang. The Nature of the Beast. New York (1997), 28.

[2] Claudia Schmalhofer, Die Kgl. Kunstgewerbeschule München (1868–1918). Ihr Einfluss auf die Ausbildung der Zeichenlehrerinnen. München (2005). Anhang 7. Verzeichnis Schülerinnen und Schüler der Kgl. Kunstgewerbeschule München (1878/79–1917/18). 460.

[3] Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Cornelius Schnauber, Fritz Lang. Leben und Werk. Bilder und Dokumente. Berlin (2001), 16.

[4] Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Cornelius Schnauber, Fritz Lang. Leben und Werk. Bilder und Dokumente. Berlin (2001), 448.

[5] „Theater und Literatur. Ein Manager-Schicksal.“ In: „Prager Tagblatt“, 19. April 1914, S.11.

[6] Fritz Lang, „Two autograph letters signed to Friedl Weiss–Nerley“. „Sale 320: Fine Books & Manuscripts, 86“.

[7] Wiener Stadt und Landesarchiv, Fritz Langs Meldezettel (April 1914 bis September 1918).

[8] Abbildung des von der Direktorin France Ranson handgeschriebenen Registers der „Académie Ranson“. In: Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Cornelius Schnauber, Fritz Lang. Leben und Werk. Bilder und Dokumente. Berlin (2001), 18.

[9]Visit[en]karte von Egon Schiele mit einer Notiz für Fritz Lang“. Leopold Museum-Privatstiftung, Egon Schiele Datenbank der Autografen. Datenbank-ID 2471. Transkription: Christine Steininger (Wien).

[10] Ferdinand Raimund, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“. Habakuk. Erster Aufzug. Achter Auftritt.

Hinterlasse einen Kommentar