Fritz Langs Pariser Ansichtskarte vom Sommer 1913

Seit kurzem liegt mir endlich ein Scan von Fritz Langs bislang ältestem, der Öffentlichkeit bekannten Korrespondenzstück[1] vor. Seine Pariser Ansichtskarte vom Sommer 1913, die ein Vierteljahr älter als jene beiden Briefe ist, die Lang im Oktober 1913 aus München an den Wiener Schriftsteller Gottfried Weiss-Merley (1891–1942) geschrieben hat.[2]

Lang, der nachweislich zwischen Herbst 1912 und Frühjahr 1914 an der Münchner Kunstgewerbeschule studiert hat, dürfte im Sommer 1913 während der vorlesungsfreien Zeit einen Sommerkurs in Paris besucht haben.

Langs Pariser Ansichtskarte wurde erstmals 1997 in Patrick McGilligans Biografie „Fritz Lang. The Nature of the Beast“ erwähnt: „One find: There is also, in the USC archives, a postcard from Lang at 42 rue de maistre, Paris, addressed to his parents in Gars am Kamp. It is dated July 6 – either 1913 or 1914 – before the outbreak of the war, and though otherwise an in­con­sequential communication, confirms he was still in close touch with his parents.[3]

Die genaue Datierung blieb ungewiss, weil von zwei Poststempeln der eine unvollständig aufgedruckt, der andere verschmiert und beide über Textpassagen gestempelt sind, was die Zeit- und Ortsangaben teilweise unlesbar macht.

McGilligan hat die Ansichtskarte zu Recht als Bestätigung betrachtet, dass der damals 22½‑jährige Fritz Lang entgegen seiner öffentlichen Selbstdarstellung weiterhin in engem Kontakt mit seinen Eltern stand. Von diesem Aspekt abgesehen beurteilt McGilligan das Schriftstück als belanglose Kommunikation (“inconsequential commu­ni­cation”), was dem Inhalt von Langs Ansichtskarte nicht gerecht wird. Schließlich bietet sie als zufällig erhalten gebliebene Stichprobe der Nachwelt eine unverfälschte Moment­aufnahme seiner Beziehung zu seinen Eltern. Sie überliefert in welchem Ton und worüber er mit ihnen schriftlich verkehrt und korrigiert damit viele Äußerungen, die er über sein damaliges Verhältnis zu seinen Eltern lanciert hat.

So bedankt er sich für zugesandte Zeitungen und Bücher. Er informiert seine Eltern, dass er viel arbeite und sich erkundigen werde, ob die Schule geschlossen werde, was er nicht annehme und falls doch, er eine andere besuchen werde. Er erwähnt, dass er von seinem Bruder Dolf [= Adolf] keinen Brief erhalten habe, da dessen Post sonderbar häufig verloren ginge. Er kommt kurz auf das Wetter zu sprechen, bevor er ankündigt, dass er sich über Pariser Ausstellungen erkundigen werde und auf Paula Langs Nachrichten über die Sezession warte. Er schließt mit Küssen für seine Mutter und „Papa“ und lässt Herrn und Frau Kaufmann, Lilli sowie Pat[4] grüßen.

Seine an die „Villa Lang“ in „Gars am Kamp [/] Mannigfall [/] Hornerstraße 25“ adressierte Ansichtskarte endet überraschend mit seinem Vor- und Zunamen sowie seiner Pariser Adresse „42 rue de maistre“, was möglicherweise Postvorschriften geschuldet ist.

Villa Lang“ bezeichnet familienintern das bescheidene Landhaus, das seit 1910 Paula Langs Firma „A. Lang & Cie.“ gehört und sich in der an Gars angrenzenden Siedlung Manigfall befindet, die erst 1929 Gars eingemeindet wird.

Langs Ansichtskartennachricht weckt Vermutungen, deren Berechtigung demnächst geklärt werden soll. So klingt beispielsweise seine Beteuerung, dass er sich vor Ort über Ausstellungen erkundigen werde, so, als sollte und wollte er sich in Paris um eigene Ausstellungsmöglichkeiten umsehen, was für einen „Maler“ bzw. „Kunstmaler“, wie er sich ab 1913 unter anderen in seinen Einträgen in den Münchner und Wiener Adressbüchern bezeichnet, naheliegend ist.

Mit seiner künstlerischen Karriere dürften die von ihm erwarteten Nachrichten über die Sezession verbunden sein, die Mitte Juni 1913 angekündigt hat, dem Schaffen „Junger Künstler aus Österreich“ Anfang 1914 erneut eine eigene Ausstellung zu widmen: „(Ausstellung der jungen Künstlerschaft in der Secession). So wie heuer, beabsichtigt die Secession auch im kommenden Jahre in den Monaten Jänner-Februar ihr Haus der gesamten jüngeren Künstlerschaft Wiens und Oesterreichs zur Verfügung zu stellen, um namentlich jenen Künstlern, welche keiner der bestehenden Vereinigungen angehören, Gelegenheit zu geben, ihre Werke vor die Oeffentlichkeit zu bringen. Mit Rücksicht darauf werden sich die Mitglieder der Secession selbst an dieser Ausstellung nicht beteiligen. Auskünfte erteilt das Sekretariat der Secession, Wien, I. Friedrichstraße 12, wo auch die Anmeldeformularien, welche alle näheren Ausstellungsbedingungen enthalten, zu haben sind.[5]

Lang, der im November 1911 für das mit der „Wiener Werkstätte“ verbundene Kabarett „Die Fledermaus“ ein viel beachtetes Werbe-Plakat geschaffen hat, das am 30. Jänner 1912 in der „Reichspost“ eine lobende Erwähnung des Kunsthistorikers Josef Weingartner erhielt,[6] wird interessiert gewesen sein, an der „Junge-Künstler“-Ausstellung der Sezession teilzunehmen. Nicht allein, weil 1912/13 auch sein nahezu gleichaltriges Vorbild Egon Schiele (1890–1918) für die Präsentation bei der „Junge-Künstler“-Ausstellung der Sezession ausgewählt worden ist.

Falls das Archiv der Secession noch Unterlagen über jene Personen aufbewahrt, die 1913 Werke für die „Junge-Künstler“-Ausstellung eingereicht haben, sollte sich klären lassen, ob und möglicherweise sogar mit welchen Werken sich Fritz Lang um eine allfällige Ausstellungsteilnahme beworben hat.

Langs Grüße an Herrn und Frau Kaufmann

Die abschließenden Grüße an Herrn und Frau Kaufmann sehen auf den ersten Blick wie belanglose Kommunikation aus. Aber auch sie sind wider Erwarten biografisch interessant und hilfreich, da sie das Ehepaar Adolf und Irene Kaufmann[7] betreffen, das sich laut Garser Fremdenliste ab 8. Juli 1913 in Gars aufhält, was die Datierung von Langs Ansichtskarte mit Sommer 1913 ermöglicht: „Herr Adolf Kaufmann, akad[emischer] Maler aus Wien, samt Gattin und Köchin“.[8]

Von ihm dem angesehenen Landschafts- und Marinemaler waren im Langschen Landhaus bis 1928 mehrere Werke zu sehen. So verzeichnet Fritz Langs Bruder Adolf Lang (1884-1961) in seinem „Eidesstaettige[m] Ver[m]oegens-Bekenntnis […] in der Verlassen­schafts­sache nach der am 11. Juli 1920 in […] Manigfall Nr. 25 verstorbenen Frau Paula Lang“ eine im „Speisezimmer“ befindliche Kaufmann-Radierung „Ema[illeteller“ sowie zwei im „Salon“ befindliche Kaufmann-Gemälde, die Adolf Lang behelfsmäßig „Schmiede“ und „Landschaft“ nennt.

Als Anton Lang 1928 den Haushalt in der Wiener Zeltgasse 1 auflöst (Siehe: „Anton Lang löst seinen Wiener Haushalt auf“), um gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Malvine Lang (geborene Materno) seinen Lebensabend in der „Villa Lang“ zu verbringen, hat er das Wiener Auktionshaus Albert Kende mit der Versteigerung der Wohnungseinrichtung beauftragt (Siehe: „Verzeichnis ausgewählter bildnerischer Werke, die bis 1928 Eigentum der Familie Lang waren“). Das Auktionshaus Kende hat einen vierzigseitigen Katalog[9] veröffentlicht, der neben der auflistenden Beschreibung der feilgebotenen Gegen­stände 16 Fotografien ausgewählter Gemälde und Möbelstücke enthält. Darunter befindet sich ein weiteres Kaufmann-Gemälde: „Gr[a]cht in einer holländischen Stadt. Mit Staffage. 450 [Schilling][10] Öl. Leinwand. Signiert und datiert 1912.“[11]

Ein Werk mit Kaufmann-Bezug war im „Empfangszimmer“ der „Villa Lang“ zu sehen. Denn das Gemälde „‚Eine vom Naschmarkt‛.[12] Alte Händlerin, ein Huhn anpreisend. 350 [Schilling][13] [/] Öl. Holz. Signiert und datiert 1894“,[14] das 1928 gleichfalls von Kende versteigert wurde, stammte vom Genre- und Landschaftsmaler Carl von Merode (1853–1909), der in den 1890er-Jahren an Adolf Kaufmanns „Zeichen- und Malschule“ als Lehrer tätig war.

Carl von Merodes (1853-1909) Öl-Gemälde „Eine vom Naschmarkt“ (1894) war im „Empfangszimmer“ der „Villa Lang“ in Manigfall zu sehen. (Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Michael Kerle (Auktionshaus Stahl Hamburg), dem ich herzlich für die freundliche Erlaubnis danke, die Fotografie von Merodes Gemälde hier unentgeltlich veröffentlichen zu dürfen. Copyright © Auktionshaus Stahl Hamburg).
Carl von Merodes (1853-1909) Öl-Gemälde „Eine vom Naschmarkt“ (1894) war im „Empfangszimmer“ der „Villa Lang“ in Manigfall zu sehen. (Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Michael Kerle (Auktionshaus Stahl Hamburg), dem ich herzlich für die freundliche Erlaubnis danke, die Fotografie von Merodes Gemälde unentgeltlich veröffentlichen zu dürfen. Copyright © Auktionshaus Stahl Hamburg).

Kaufmanns Zeichen- und Malschule hat zwischen 1893 und 1900 „Damen und Herren in getrennten Cursen[15] unterrichtet und zudem „Getrennte Herren-Vorbereitungs-Curs[e] für die Akademie [der bildenden Künste]“[16] angeboten, wie sie ähnlich Fritz Lang vor seiner erfolglosen Bewerbung für die Wiener „Akademie der bildenden Künste“ im Jahr 1911 beim Maler Gustav Bauer (1874–1946) sowie dem Maler und Bildhauer Ludwig Koch (1866–1934) in Anspruch genommen hat (Siehe: „Weitere aufschlussreiche Archiv-Funde zur frühen Biografie des Filmregisseurs Fritz Lang“).

An Kaufmanns Zeichen- und Malschule hat bis 1898 auch der Maler, Grafiker und Bühnenbildner Heinrich Lefler (1863–1919) unterrichtet, der dem Vernehmen nach mit dem Sänger und Schauspieler Leo Slezak befreundet war, dessen Rechtsanwalt ab 1906 Fritz Langs Onkel Ernst Schlesinger war.

Doch zurück zu Adolf Kaufmann, der eine ausgeprägte Vorliebe für Paris hatte, wo er einst auch als „virtuoser Schnellzeichner ein beliebter Gast der Salons[17] gewesen sein soll. In Wien war er unter anderem mit der Künstlergenossenschaft verbunden und daher auch mit dem Maler Karl Zewy (1855–1929) bekannt mit dem Fritz Lang 1911 und 1912 unter anderem beim „Karnevalsfest der Künstler­genossenschaft“ (1911) und bei der „Nachsilvester-Feier der Künstlergenossenschaft“ (1912) zusammengearbeitet hat, was Lang 1912 eine Schelte in Karl Kraus‘ Zeitschrift „Die Fackel[18] beschert hat (Siehe: „Fritz Langs verborgene Nennung in Karl Kraus‘ ‚Fackel‛“).

Zewy war wiederum mit Karl Elleder (1860–1941), Langs Vis-a-vis-Nachbar in Manigfall, befreundet, der als Karikaturist unter anderem für die humoristischen Zeitschriften „Fliegende Blätter“ und „Meggendorfer Blätter“ gezeichnet hat. Zwei Zeitschriften, von denen sich einige Exemplare in Paula Langs Nachlass in Manigfall befunden haben.

Fazit: Fritz Langs rund 75 Wörter umfassende Pariser Ansichtskarte vom Sommer 1913 ist biografisch aufschlussreich, weil sie belegt, dass Fritz Langs Mutter Paula Lang an der künstlerischen Ausbildung und Entwicklung ihres Sohnes interessiert war und die Familie Lang den Landschaftsmaler Adolf Kaufmann persönlich kannte, von dem sie mehrere Werke ihr eigen nannte und in dessen „Zeichen- und Malschule“ der Genre- und Landschaftsmaler Carl von Merode unterrichtet hat, von dem die Familie Lang zumindest ein Gemälde besessen hat.

Weiters gibt die Ansichtskarte zu verstehen, dass die Familienmitglieder 1913 miteinander öfters korrespondiert haben und Fritz Langs Beziehung zu seinem knapp sieben Jahre älteren Bruder Adolf Lang angespannt gewesen sein dürfte.

Zu klären bleibt, ob die Sezessions-Passage tatsächlich deren „Junge-Künstler“-Ausstellung betrifft und falls ja, ob sich Fritz Lang 1913 um eine Teilnahme beworben hat. Offen ist weiters, wer „Lilli“ und „Pat“ sind, die Fritz Lang gegen Ende seiner Ansichtskarte grüßen lässt.

Anmerkungen

[1] Fritz Lang, Ansichtskarte an „Villa Lang“ „Autriche [/] Nied[er] Österreich [/] Gars am Kamp [/] Mannigfall [/] Hornerstraße 25 [/] „Villa Lang“. Ich danke Frau Barbara Whitehead (Cinematic Arts Library, University of Southern California) herzlich für die Zusendung des gewünschten Scans von Fritz Langs Ansichtskarte ([Box 19a/Folder 21], Fritz Lang papers, Collection no. 2201, Cinematic Arts Library, USC Libraries, University of Southern California).

[2] Dem amerikanischen Germanisten Leo Lensing verdanken wir eine ausführliche Beschreibung der beiden Lang-Briefe: Leo Lensing, „Lehrjahre eines Großmeisters.“ In: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. 29. Juni 2016, N3 (Siehe auch: „Wien-Bezüge: Fritz Langs erste Münchner Adresse“).

[3] Patrick McGilligan, Fritz Lang. The Nature of the Beast, Notes and sources, 513.

[4] Ich danke Frau Christine Steininger (Wien) für ihre Bestätigung, dass der eine Name sicher „Lilli“ und der andere Name wahrscheinlich „Pat“ lautet.

[5] „Ausstellung der jungen Künstlerschaft in der Secession“. In: „Wiener Sonn- und Montags-Zeitung“, 23. Juni 1913, 13.

[6] Josef Weingartner, „Wiener Plakate“. In: „Reichspost“, „Morgenpost“. 30. Jänner 1912, 1.

[7] Adolf Kaufmann und Irene Frick wurden am 25. Jänner 1892 zivilgetraut, nachdem sie Anfang Dezember 1891 erfolglos das Eheaufgebot für eine jüdische Trauung bestellt hatten. Der Ablauf entspricht somit jenem der ersten Trauung von Fritz Langs Eltern im Jahr 1883.

[8] Fremdenliste Nr. 5 der Marktgemeinde Gars im Jahre 1913. In: Verschönerungsverein Gars (Hrsg.), „Garser Saison-Blatt“. Partei-Nr. 572.

[9] Auktionshaus Albert Kende, Katalog der 1928 vom Auktionshaus Albert Kende durchgeführten freiwilligen Versteigerung der kompletten Wohnungseinrichtung aus dem Besitze eines bekannten Wiener Stadtbaumeisters in Wien, VIII. Bez[irk], Zeltgasse 1. (1928).

[10] 450 Schilling entspricht 2024 einer Kaufkraft von rund 1.985 Euro.

[11] Auktionshaus Albert Kende, Katalog (wie Anm. 9), 23.

[12] Ich danke Herrn Michael Kerle (Auktionshaus Stahl Hamburg) herzlich für seine freundliche Erlaubnis die Fotografie von Merodes Gemälde unentgeltlich veröffentlichen zu dürfen.

[13] 350 Schilling entspricht 2024 einer Kaufkraft von rund 1.545 Euro. Das Gemälde wurde anlässlich der Wohnungsauflösung im März 1928 um 380 Schilling verkauft, was 2024 der Kaufkraft von ungefähr 1.675 Euro entspricht. Siehe: „Auktionen. Eine versteigerte Wohnungseinrichtung.“ In: „Neues Wiener Tagblatt“, 7. März 1928, 6.

[14] Auktionshaus Albert Kende, Katalog (wie Anm. 9), 28.

[15] Inserat für Adolf Kaufmanns Zeichen- und Malschule. In: „Wiener Salonblatt“, 7. Oktober 1894, 13.

[16] Inserat für Adolf Kaufmanns Zeichen- und Malschule. In: „Neue Freie Presse“, 25. Oktober 1898, 13.

[17] Dankmar Trier, „Kaufmann, Adolf (1848)“. In: „Allgemeines Künstlerlexikon“, LXXIX, 2013, 438.

[18] „Bevor der Humor in seine Rechte trat“. In: Karl Kraus, „Die Fackel“. Nr. 341, 27. Januar 1912. 1-5, hier 4.

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